„Papa, was ist Pferdefüßetherapie? Pferde haben doch gar keine Füße!!!“

Ganz genau! Das hat die Kleine absolut richtig erkannt. Auch wenn ich herzlich lachen musste über diese Frage, steckt eine Botschaft für mich dahinter, nämlich die Frage, welche sich viele Pferdebesitzer stellen: Was ist eigentlich Pferdephysiotherapie?

Im humanmedizinischen Bereich gehört Physiotherapie schon zum Alltag. Wenn etwas zwickt, geht man zum Physiotherapeuten. Dieser zeigt körperliche Schiefe und Mängel auf, behandelt, z. Bsp. über Massage, und zeigt einem schlussendlich Übungen, welche man zu Hause regelmäßig durchführen sollte.

Beim Pferd läuft das ganz genau so ab. Mit dem feinen Unterschied, dass das Tier nicht sagen kann, wo es zwickt und auch nicht von alleine Turnübungen ausführt um seine Beschwerden zu lindern. Hier ist der fürsorgliche Besitzer gefragt!
Je früher dieser merkt, dass sein Pferd etwas schmerzt und je gewissenhafter er die vom Therapeuten aufgegebenen Bewegungsübungen ausführt, desto einfacher und schneller kann eine Therapie fruchten.

„Zu unserer Natur gehört die Bewegung. Die vollkommene Ruhe ist der Tod.“
[Le mouvement fait partie de notre nature. La tranquillité absolue est la mort.]
Blaise Pascal (1623-62), frz. Mathematiker u. Philosoph


Pferde – und auch Menschen – sind Bewegungstiere. Beim Menschen sind Bewegungsmangelkrankheiten schon recht gut erforscht und bekannt: Muskelabbau, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme, Übergewicht und dessen Folgen, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Osteoporose, Arthrose, Infektanfälligkeit und Stresserkrankungen.

Hinzu kommt, dass die Informationen, welche unser Gehirn verarbeitet, zum größten Teil aus dem Bewegungsapparat stammen. Wie steht der Körper im Raum? Bewegt er sich? Steht er gerade oder fällt er gleich um? Wie stehen die Gelenke und Körperteile zueinander? Muss etwas korrigiert werden um stehen zu bleiben? Oder ist er etwa soeben gestolpert und es müssen Reflexe ein Fallen verhindern?
Wenn wir uns nicht mehr bewegen, hat unser Gehirn viel weniger zu tun – es baut ab. Und leider werden nicht nur jene Areale träge, welche mit dem Bewegungsapparat zu tun hatten, sondern auch andere. Zum Beispiel jene, welche für eine gute Erinnerung und Lernen zuständig sind.*
„Wer rastet der rostet“ ist also absolut wahr – körperlich und geistig – und vor allem auch im Alter zu berücksichtigen.


Warum sollte das alles bei Pferden anders sein?
Wir Menschen wurden nicht gemacht, um 8 Stunden am Tag auf einem Bürostuhl zu sitzen. Wäre Miss Evolution der Meinung gewesen mit einem Bürostuhl ließe sich besser Jagen und Sammeln, so hätte sie uns einen anwachsen lassen. Und wäre Sie der Meinung gewesen, Pferde sollten sich nur 1-2 Stunden täglich bewegen und den Rest in der Box verbringen, wären sie Höhlenbewohner geworden, welche von dort aus warten, dass ihnen das Gras ins Maul wächst. Stattdessen hat Miss Evolution aber wunderschöne Bewegungstiere erschaffen, welche trotz ihrer Masse leichtfüßig über die Steppe galoppieren.


Aber was ist denn nun Pferdephysiotherapie?
Es ist die Therapieform, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Bewegungsapparat gesund zu erhalten. Ich sage bewusst „gesund erhalten“, da es sich auch stark um präventive Arbeit handelt. Je früher ein Problem erkannt wird, desto weniger Auswirkungen hat es in Zukunft. Durch eine auf das Pferd angepasste Bewegungstherapie, was wir als „Turnübungen“ bezeichnen könnten, werden Probleme beseitigt und verhindert. Daher ist es auch sinnvoll, immer wieder einen Physio-Check durchzuführen um frühzeitig eingreifen zu können. Und das schönste an der Physiotherapie ist, dass sie unterstützend Bewegungsmangelkrankheiten und psychische Erkrankungen vermeiden und heilen kann. Also schlussendlich ist es doch eine Therapie, welche auf das gesamte physische und psychische System heilsam einwirkt. Und das ist doch was wirklich tolles!

* “Während z.B. aus der Demenzforschung schon länger bekannt ist, dass körperliche (und insbesondere motorische) Fitness das kognitive Leistungsvermögen bzw. den Grad des späteren kognitiven Abbaus günstig beeinflussen kann (Aberg et al. 2009), deuten neuere Studien darauf hin, dass ausreichende Bewegung zumindest im Mausmodell „rückwirkend“ direkt die Neurogenese und damit -plastizität stimuliert (Freund et al. 2013). Das Plädoyer für aktivierende, auf Bewegung gerichtete Verfahren in der Psychosomatik und Verhaltensmedizin erhält damit im Einklang mit klinischer Erfahrung neurobiologische Schlagkraft.“
Aus „Psychosomatik und Verhaltensmedizin“ von Winfried Rief und Peter Henningsen