Pferdetraining für Körper, Kopf und Seele

Oder: Was ist Abwechslungsreiches Training?
Für uns Menschen ist es ganz klar: Kraft und Kondition sollten trainiert werden um gesund zu bleiben und damit unser Kopf sich auch mal entspannen kann, gehen wir mit Freunden einen Kaffee trinken oder springen in den See. Unsere grauen Zellen füttern wir mit Fortbildungen oder Fachliteratur. Körper, Seele und Geist werden im Idealfall gepflegt.
Doch wie sieht das mit unseren Pferden aus? Sie leben in einer für sie unnatürlichen Umgebung (anch wenn sie in einem Herdenkonzept stehen) und ein häufiges Wochenprogramm sieht so oder so ähnlich aus: 3x Dressur in der Halle, 2x Ausreiten, 1x Longieren, 1x hat das Pferd frei.
Ist das abwechslungsreich?
Nein! Abwechslungsreiches Training bedeutet auch beim Pferd , dass neben der körperlichen Arbeit auch Seele und Köpfchen trainiert werden und dass neben dem Reiten auch die Arbeit an der Hand gefördert wird. Wir wünschen uns schliesslich einen in allen Situationen souveränen und zuverlässigen Partner. Um das zu erreichen, ist jedoch ein Bewusstsein dafür und ein wenig Kreativität gefragt. Doch beginnen wir von vorn.
Was ist "Training"?
Wenn wir ehrlich sind: Alles was Du mit deinem Pferd machst, ist Training. Sobald es sich unter Deiner Anleitung bewegt, trainiert es seinen Körper, sobald es sich Deinetwegen mit ungewohnten Situationen auseinandersetzen muss, trainiert es seinen Kopf. Ob dieses Training sich in eine für Dich positive oder negative Richtung entwickelt, hängt dabei ganz von Dir ab. Das anstrengende dabei ist die Erkenntniss, dass jeder Moment, den Du mit deinem Pferd verbringst, Einfluss auf eure zukünftige Zusammenarbeit hat. Ein Glück für uns Menschen, dass Pferde erstaunlich leicht verzeihen.

Training für den Körper
Egal was Du mit deinem Pferd machs, Du trainierst seinen Körper. Das bedeutet aber auch, dass Du jederzeit auf eine korrekte Ausführung achten solltest. Eine Stunde Schrittausritt am langen Zügel auf der Vorhand latschend trainiert genauso wie eine Stunde präzise Arbeit - nur eben andere Muskelgruppen.
Wer sein Pferd aber Reiten möchte - und das möglichst bis ins Alter - ist gezwungen, die Muskulatur zu trainieren, welche diese unnatürliche Arbeit verrichten und Verschleiss an Knochen und Sehnen verhindern kann. Je konsequenter Du damit in der täglichen Arbeit umgehst, desto mehr dankt es Dir Dein Pferd im Alter. Die Lorbeeren dieser Arbeit erntet man somit vor allem im zweiten Lebensabschnitt des Pferdes.
Training für den Kopf
Pferde sind genauso individuell wie Menschen: Manche lieben Kopfarbeit, andere tun sich schwer damit. Die Möglichkeiten, wie Dein Pferd seine grauen Zellen bei der Zusammenarbeit mit Dir benutzen kann sind sehr vielseitig. Hier zählt schon dazu, dass Dein Pferd selbst die Distanz zur Trabstange einzuschätzen lernt oder beim Freispringen den Galoppsprung selbst anpassen muss. Dein Pferd wählt beim Ausritt selbst, wo es gehen möchte oder an welcher Stelle des quer liegenden Baumstamm es am besten drüber klettern kann? Auch das braucht Köpfchen - und von Deiner Seite aus Vertrauen in seine Selbstwahrnehmung.
Sobald du also Dein Pferd selbst Entscheidungen treffen lässt, trainierst du sein Köpfchen. Dazu musst Du keine Zirkuslektionen einstudieren und Schnupperfährten legen, Spass macht das aber trotzdem jedem Pferd.
Eine "Nebenwirkung" ist, dass über diese Erfahrung der Selbstwirksamkeit auch das Selbstbewusstsein Deines Pferdes gestärkt wird. Dein Pferd bekommt Vertrauen in sich selbst und es kann durchaus sein, dass es nun auch mal Deine Entscheidung z.B. zur Wegwahl in Frage stellt.
Training für die Seele
Wir gehen Kaffee trinken, Dein Pferd geht auf die Weide. Reicht das nicht? Kommt darauf an.
Wenn Du Dir eine engere Bindung mit Deinem Pferd wünschst, wird das nicht ausreichen. Der Blick in eine Herde verrät: Pferde verbringen viel Zeit miteinander mit "nichts tun" bzw. mit Aktivitäten von geringer Intensität. Natürlich wird auch mal gespielt und gerannt, die meiste Zeit wird jedoch anders verbracht:
Gemeinsames dösen, fressen, Fell pflegen und schlafen sind wichtig für die Seelengesundheit des Pferdes und für die Bindung und Freundschaftspflege innerhalb der Herde, zu der Du auch gehören möchtest. Sobald Du nämlich mit Deinem Pferd etwas alleine unternimmst, bildet ihr eine Herde in der sich Dein Pferd ständig fragt, ob Du denn die Sicherheit bietest, die es sich als Fluchttier wünscht.
Da Du Dein Pferd nicht mit auf Dein Sofa nehmen kannst, muss Dein Sofa eben zum Pferd - auf die Weide, in die Box oder auf die Wiese nebenan. Zeit mit Deinem Pferd zu verbringen ohne etwas von ihm zu verlangen (!)wird eure Beziehung positiv verändern.
Eine kleine Falle steht hier aber noch bereit: Wenn Du glaubst, Dein Pferd würde nicht merken, dass Du heute nur 10 min Zeit für "Nichtstun "hast und wegen des nächsten Termins schon unter Strom stehst, liegst du falsch. Gerade nach Neueinführung der" Nichtstun"-Routine beobachtet Dich Dein Pferd genau - ob Du es wirklich ernst damit meinst, ob es sich wirklich entspannen kann oder ob Du nicht doch plötzlich wieder etwas aktives von ihm verlangst oder selbst unrihig wirst.

Körper - Geist - Seele
Wie Du vielleicht schon bemerkt hast, ist es durchaus möglich, diese drei Aspekte des Trainings unter einen Hut zu bekommen und sehr oft sind sie nicht von einander zu trennen.
Klettert Dein Pferd auf einem selbst gewählten Pfad einen Wurzelweg hinauf, laufen Körper und Geist auf Hochtouren. Wenn Du es dabei zusätzlich durch Deine Anwesenheit und Hilfestellung an schwierigen Stellen unterstützt wächst sein Vertrauen in Dich als sein Partner und pflegt so seine Seele. Am Gipfel angekommen erlaubt eine Fresspause Deinem Pferd zu lernen, dass Anstrengung nicht automatisch Stress bedeutet.
Je besser sich Dein Pferd in seinem Körper fühlt, je mehr Vertrauen es in sein Können hat desto entspannter wird es in unerwarteten Situationen reagieren.
Je mehr Dein Pferd in sich ruht und je sicherer es ist, Probleme zur Not auch selbst lösen zu können, desto leistungsbereiter ist es in anstrengenden Momenten.
Und je fitter und entspannter es ist, desto besser funktionieren die grauen Zellen.
Körper, Geist und Seele haben beim Pferd genauso einen grossen Einfluss aufeinander wie beim Menschen und sollten deshalb auch alle drei trainiert werden. Sieh Dir Deine Trainingswoche aus diesen drei Aspekten nochmals an und bewerte sie neu.
Viel Spass dabei!