Dicke Sehne - lahmes Pferd

Dicke Sehne - lahmes Pferd

Sehnenverletzungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen des Bewegungsapparates des Pferdes und bedeuten immer eine lange Rekonvaleszenz und häufig das Ende einer Sportkarriere. Für viele Pferdebesitzer bedeuten sie auch eine Umstellung der Haltungsbedingungen und natürlich ist der Pferdealltag ab dem Moment, in dem die Verletzung entdeckt wurde, ein ganz anderer. In diesem Blog möchte ich Dir das aktuelle Wissen über Sehnenverletzungen und ihre Reha etwas näherbringen und aufzeigen, was Du in einem akuten Fall selbst tun kannst aber auch wie Du dein Pferd in der Reha unterstützen kennst.
Viel Spass beim Lesen!

Anatomie

Sehnen bilden das Bindeglied zwischen den Muskelbäuchen und dem Knochen, den der Muskel bewegen soll. Kein Muskel ohne Sehne und keine Bewegung ohne Sehne! Sie bestehen aus kollagenen Fasern (Bindegewebe), die in Zugrichtung ausgerichtet sind. An manchen Stellen wird die Sehne zusätzlich von einer Sehnenscheide umhüllt, die als Führungsröhre dient und zu einer besseren Druckverteilung auf die Sehne, z.B. durch Knochen, führt.

Die häufigsten Sehnenverletzungen finden man in den Gliedmassen des Pferdes, grundsätzlich kann aber jede Sehne jedes Muskels verletzt werden.
Je nach Nutzung des Pferdes sind die Sehnen der Vorder- oder der Hinterbeine anfälliger. Statistisch am häufigsten ist der Fesselträger betroffen, gefolgt von der oberflächlichen und der tiefen Beugesehne.
Diese Sehnen spielen eine zentrale Rolle in der Stabilisierung des Fesselgelenks und somit der Unterstützung des gesamten Bewegungsapparates. So ist es nicht verwunderlich, dass sich solche Verletzungen auf den gesamten Pferdekörper auswirken und eine lange, ganzheitliche Rehabilitation benötigen.

Umso wichtiger ist es ein kleines Grundwissen zur Anatomie und Funktion von Sehnengewebe aufzubauen, um präventive Massnahmen zu ergreifen und Verletzungen effektiv behandeln zu können.

Arten von Sehnenverletzungen und deren Ursachen

Sehnenverletzungen können von leichten Überdehnungen bis hin zu schweren Rissen und Durchtrennungen reichen. Je nach Entstehungsgeschichte kann man sie in akute, traumatische Sehnenverletzungen oder in chronische, überlastungsbedingte Sehnenverletzungen unterteilen. Aber natürlich wäre das zu einfach, da die Faktoren, die zu einem Sehnenschaden führen, sehr vielfältig sind und eine chronische Verletzung zuvor immer akut war. Der Einfachheit halber, möchte ich aber an dieser Definition festhalten.

akute, traumatische Sehnenverletzungen

Dazu zählen Verletzungen, die aufgrund eines Traumas entstanden sind, z.B. eine Durchtrennung der Sehne durch Verheddern im Stromzaun. Diese Verletzungen können zum Teil auch chirurgisch behandelt werden, wodurch eine schnellere und bessere Heilung erreicht wird. Trotzdem muss das Pferd 4- 6 Wochen mit Cast oder Schienenverband in der Box verbringen und es braucht mindesten 6- 12 Monate, bis die Sehne verheilt und ihre Funktion wieder hergestellt ist. Dann ist aber noch nicht die vorherige Belastungsfähigkeit erreicht!

Die von fast jedem schon einmal selbst erlebte Zerrung zählt natürlich auch zu den akuten, traumatischen Sehnenverletzungen. Sie entsteht, wenn innerhalb der Belastung die Dehnungsgrenze der Sehne über­schritten wird und dadurch einzelne Sehnenfasern zerreissen. Bei einer sehr starken Überlastung kann es aber auch zur vollständigen Zerreissung der Sehne kommen.

Chronische, überlastungsbedingte Sehnenverletzung

Diese entstehen aus einer akuten Verletzung, z.B. einer leichten Zerrung, die nicht entdeckt und deren Heilung dadurch verschleppt wurde. Sie gehören zu den deutlich häufiger auftretenden Verletzungen im Pferdesport. Pferde zeigen dann «plötzlich», z.B. nach einem Turnier auf «schlechtem Boden» ein Sehnenproblem, das in Wirklichkeit schon vor Monaten entstanden ist. Ein weiteres Beispiel sind akute Sehnenprobleme in einem Vorderbein, deren Ursache aber in einem chronischen Problem des diagonalen Hinterbeins liegt.

Solche Verletzungen sind von eine langen Reha­bilitationszeit geprägt, in der alle Aspekte des Pferdes begutachtet werden müssen: Gewicht, Training, Haltung, Hufsituation, Körperbau, Fütterung, Ausrüstung etc. - denn jedes dieser Themen kann eine Sehnenproblematik begünstigen.

Erkennen und Erste Hilfe

Sehnenverletzungen können sich durch eine Reihe von Symptomen bemerkbar machen, darunter Lahmheit, Schwellungen und erhöhte Temperatur im betroffenen Bereich. Diese Symptome können unterschiedlich stark ausgeprägt sein, abhängig von der Schwere der Verletzung. Pferde zeigen Schmerz möglichst spät, daher ist ein regelmässiges Abtasten der Beine sehr wichtig. Eine leichte Zerrung fällt so durch Schwellung und Wärme schon auf, obwohl das Pferd noch keine Schmerzen zeigt und scheinbar lahmfrei ist. Bei einer Durchtrennung der Sehne hingegen wird die Gliedmasse nicht mehr belastet. Muss das Pferd trotzdem laufen, zeigen Fessel und Huf einen deutlich veränderten Bewegungsablauf.  Oft kann man schon daraus schliessen, welche Sehne beschädigt wurde.

Erste Hilfe

Bei einer Durchtrennung muss sofort der Tierarzt gerufen werden, wenn möglich das Pferd nicht bewegen. Ausserdem gehört bei jeder akuten Sehnen­verletzung das Kühlen dazu. Dies ist besonders in den ersten Stunden wichtig, um ein starkes Einbluten in das Gewebe und Ödembildung zu verhindern und Schmerzen zu lindern. Hier kann auch das Anlegen eines Kompessionsstrumpfes Sinn machen.


Hast Du schon einmal vom PECH -Schema oder dem Rice-Protocol gehört? Es erklärt, was bei der Erstversorgung von stumpfen Verletzungen, wie Zerrung, Prellungen, Verstauchungen, Quetschungen etc., geboten ist:

P - Pause (= still halten)= Rest - R
E - Eis (= Kühlung) = Ice - I
C- Compession = C
H - Hochlagern = Elevation - E

Bis auf das Hochlagen, kann man beim Pferd all diese Massnahmen auch durchführen.


Diagnose und Behandlung

Eine genaue Diagnose ist entscheidend, um die richtige Behandlung einzuleiten. Bei leichteren Sehnenverletzungen wird Dein Tierarzt vor Ort per Ultraschall den Schaden lokalisieren und den Schweregrad einschätzen können.

Die Behandlung von Sehnenverletzungen erfordert in der Regel eine Kombination aus Ruhe, physikalischer Therapie und medikamentöser Unterstützung. In schweren Fällen kann eine Operation erforderlich sein. Der Rehabilitationsprozess ist oft langwierig und erfordert Geduld und sorgfältige Betreuung, um Rückfälle zu vermeiden und die Sehne vollständig zu heilen.

Sehnenheilung - warum dauert's so lange?

Sehnengewebe besitzt eine sehr geringe metabolische Rate. Dieser Wert gibt an, wie schnell in einem Gewebe Stoffwechselprozesse statt finden wie zB. der Sauerstoffaustausch oder die Energiegewinnung. Eine geringe metabolische Rate führt somit automatisch zu einem langsameren Heilungsverlauf. Dieser wird in drei überlappende Phasen aufgeteilt:

1.) Entzündungsphase
2.) Proliferationsphase
3.) Organisationsphase

1) Die Entündungsphase setzt unmittelbar nach der Verletzung ein und dauert in der Regel 3- 9 Tage. Immunzellen, sogenannte Fresszellen, beseitigen dabei das geschädigte Gewebe. Es treten typische Entzündungszeichen wie Schwellung, Schmerz und Wärme auf, die Entzündung sollte in dieser Phase jedoch auf keinen Fall medikamentös unterdrückt, sondern nur durch therapeutische Massnahmen (wie <3. Kühlung) reguliert werden.>z.B. Kühlung) reguliert werden.
Diese Phase ist entscheidend, da hier der Grundstein für den weiteren Heilungsverlauf gelegt wird. Die Belastung des Pferdes sollte nun strikt aufgehoben werden, um eine weitere Schädigung zu verhindern.

2) In der Proliferationsphase, die schon ab dem dritten Tag beginnen kann und mehrere Wochen bis 12 Monate dauert, beginnt der Reparaturprozess. Neue Blutgefässe, die Sauerstoff und Nährstoffe in des Gewebe bringen und Abfallprodukte des Heilungsprozesses abtransportieren, wachsen in den geschädigten Bereich.
Fibroblasten (=Bindegewebszellen), die aus dem umliegenden Gewebe in das verletzte Areal einwandern, produzieren Kollagenfasern, die das zerstörte Gewebe ersetzen. Allerdings unterscheidet sich das neu gebildete Kollagen Typ 3 in Struktur und Ausrichtung stark von dem ursprünglichen Sehnengewebe: Es ist zunächst ungeordnet und weniger belastbar. Dies erklärt, warum die Sehne in dieser Phase noch sehr empfindlich ist und bei Überlastung mit einem Aufflammen der Entzündung und Schmerz reagiert. Das Pferd darf nur sehr langsam wieder an Bewegung gewöhnt werden, kontrollierte, angepasste Bewegung unter tierärztlicher und therapeutischer Anleitung fördert jedoch die Ausrichtung der Kollagenfasern und unterstützt so die Heilung.

3) In der Organisationsphase reifen die Kollagenfasern zu Kollagen Typ 1, welches sehr zugfest ist und der Sehne ihre typischen Eigenschaften verleiht. Die Phase beginnt nach 6- 8 Wochen und dauert bis zu 12 Monate. Das Kollagen Typ 1 wird neu organisiert, d. h. parallel zur Zugrichtung ausgerichtet und quer vernetzt, wodurch die Sehne allmählich an Belastbarkeit gewinnt. Sie beginnt, ihre ursprüngliche Struktur und Funktion wiederherzustellen, jedoch bleibt das neue Gewebe in der Regel weniger elastisch und belastbar als die ursprüngliche Sehne. Dies erhöht das Risiko für erneute Verletzungen, insbesondere wenn das Pferd zu früh wieder voll belastet wird. Daher ist eine lange und sorgfältige Rehabilitation entscheidend, um eine möglichst vollständige Heilung zu erreichen.
 

Das ist noch nicht kompliziert genug?

Aufgrund dessen, dass eine Sehne aus verschieden Anteilen besteht, sind Krankheitsverlauf und Wundheilung je nach Ort der Verletzung unterschiedlich und werden auch verschieden genannt. So gibt es intramuskuläre Sehnenverletzen, Tendinopathien, Tendinosen,Tendinitis, Insertionstendinopathien, Sehnenscheidenentzündungen, Fasciitis, Aponeuritis, … usw.  

Ausserdem beeinflussen intrinsische und extrinsische Faktoren die Heilung. Zu den intrinsischen Faktoren zählen zB. Alter, Durchblutung, Ernährung, anatomische Eigenschaften, Gewicht usw. Zu den extrinsischen Faktoren zählen körperliche Belastung, Trainingsfehler, Trainingsaufbau, Umwelt usw.

Prävention durch Management

Um Sehnenverletzungen vorzubeugen, sind gezieltes Training und eine angepasste Belastung sowie ein gutes Management rund ums Pferd entscheidend. Die oben genannten in- und extrinsischen Faktoren, die die Heilung beeinflussen, sind genauso wichtig, wenn es um die Prävention von Verletzungen geht. Ich möchte hier unbedingt ein paar negative Faktoren nennen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht offensichtlich, aber leider alltäglich sind.

  • Das Anlegen von Stallgamaschen und schlecht belüfteten Gamaschen während des Trainings
  • Reiten auf immer «guten» und geraden Böden
  • Fehlendes Training im Gelände (Ausreiten)
  • Weidegang auf kleinen Parzellen, auf denen das Pferd kaum galoppieren und sich strecken oder bocken kann
  • Fehlerhafte Bewegungsabläufe
  • Einseitiges Training wie zB Fokus nur auf Dressur / Springen / Reining / Barrel Race / … aber auch nur Ausreiten am Langen Zügel
  • usw…


Fazit

Sehnenverletzungen stellen eine ernsthafte Herausforderung dar, sowohl in Bezug auf die Behandlung als auch auf die Prävention. Eine frühzeitige Diagnose und ein individuell angepasstes Behandlungs- und Rehabilitationsprogramm sind entscheidend für die erfolgreiche Heilung und die Rückkehr des Pferdes in die Freizeit und mit viel Glück und Herzblut evtl. sogar in den Sport. Mit einem durchdachten Management und der Beachtung präventiver Massnahmen könnten viele Sehnenverletzungen vermieden oder zumindest deren Schweregrad reduziert werden.

 

Ich wünsche Dir und Deinem Pferd einen gesunden, lahmfreien Sommer!